Die meisten Diskussionen beim seit Jahresbeginn vorgeschriebenen Dokumentationsprozess lösen die Kundenprofilierung und insbesondere die Prüfung der Risikotragfähigkeit aus. Gerade hier wurde ganz besonderer Wert auf die Hintergrundprüfung aller denkbaren Plausibilitäten gelegt und häufig stösst das Ergebnis auf Unverständnis.
Dazu muss man folgendes wissen: Einerseits geht der Gesetzgeber davon aus, dass der Anleger nur ein Risikoverständnis haben kann. Sein Profil kann - auch wenn dies schwer nachvollziehbar ist - nach den Vorstellungen des Gesetzgebers eben nicht ein bisschen sicherheitsorientiert sein und zudem ein wenig Totalverlustbereitschaft beinhalten. Es nützt nichts, dass die Lebensrealität vieler Anleger eine andere ist, denn natürlich kann jemand im Spielcasino (wir reden nicht von einem notorischen Spieler) einen bestimmten Betrag einsetzen und einkalkulieren, dass dieser total verloren wird, ohne damit gleich bereit zu sein, sein gesamtes Vermögen aufs Spiel zu setzen.
Andererseits geht der Gesetzgeber davon aus, dass jedes Finanzanlageinstrument einzeln zu betrachten ist, obwohl die Absicht der neuen Vorschriften ja ausdrücklich darauf zielt, den Kunden und seine Vermögensanlagen ganzheitlich zu betrachten. Aber man muss sich die Intention des Gesetzgebers wohl eher so vorstellen, wie es ein befreundeter Finanzdienstleister unmissverständlich formulierte: Ein 13-Jähriger kann zwar Filme mit der Freigabe FSK 12 anschauen. dies heißt aber nicht, dass es den Vorstellungen des Gesetzgebers entspricht, wenn dem Kind drei Stunden Teletubbies und eine Stunde Hardcore-Action (was im Schnitt sicher auch FSK 12 entsprechen würde) vorgespielt werden. Jedes einzelne Finanzanlageinstrument (also auch jeder einzelne Fonds im Kundendepot) ist also separat daraufhin zu prüfen, ob er der Risikotragfähigkeit des Kunden entspricht. Ein Fonds der Risikoklasse 2 im Mix mit einem Fonds der Risikoklasse 4 gibt also keineswegs die dem Kundenprofil entsprechende Risikoklasse 3, wobei stets zu beachten ist, dass die Lebensrealität mit den Vorgaben des Gesetzgebers häufig nicht in Einklang zu bringen ist. Die Vernunftfrage stellt sich jedoch nicht, wenn es gilt, gesetzliche Vorgaben zu erfüllen. Allenfalls stellt sich die Frage, wie man bei Erfüllung der gesetzlichen Vorgaben am besten zu einem vernünftigen Ergebnis kommen kann.
Doch auch dies scheint uns zu kurz gegriffen, wenn wir uns die Tendenzen in der Rechtsprechung vor Augen führen. So wie bei geschlossenen Fonds die Plausibilität der Prospektangaben durch den Vermittler geprüft werden muss, so wird es in einigen Jahren auch höchstrichterliche Urteile geben, dass alleine das Abstellen auf die Übereinstimmung des Kundenprofils mit der Risikoklasse eines Fonds nicht ausreichend ist. Wir erwarten, dass sich Gerichte auch damit beschäftigen werden, ob eine Risikoklassifizierung eines Fonds tatsächlich plausibel war. Dazu ein Beispiel:
Die Grafik zeigt zwei Fonds, die bei den meisten Banken/Fondsplattformen in Risikoklasse 3 eingruppiert sind (allein die AAB hat jüngst sämtliche Aktienfonds in Risikoklasse 4 überführt, was wir grundsätzlich sehr begrüßen). Die Frage, um die es künftig aber gehen könnte, ist doch, ob diese beiden Fonds tatsächlich ein ähnliches Risiko verkörpern. Ganz kurios wird es nun, wenn man sich vor Augen führt, dass der "Fidelity European Growth" als Long-only-Aktienfonds bei FFB oder Ebase in Risikoklasse 3 einsortiert ist, während ein "Frankfurter Aktienfonds für Stiftungen", der seine Aktienbestände über Futures absichern kann, in Risikoklasse 4, bei der AAB aber wiederum in Risikoklasse 3 geführt wird. Geradezu pervertiert wird die Systematik der Risikoklassifizierung, wenn ein Fonds bei verschiedenen Plattformen/Banken in drei verschiedenen Risikoklassen geführt wird, wie es das nebenstehende Beispiel zeigt. Jeder Berater/Vermittler sollte sich darüber im Klaren sein, dass der Gesetzgeber nicht vorgeschrieben hat, dass die Depotbank für die Risikoklassifizierung der Finanzanlageinstrumente zuständig ist. Nach den seit Januar geltenden Vorschriften ist es alleine der Finanzdienstleister, der die Risikotragfähigkeit zu prüfen hat, was im Zweifelsfall eben auch heißt, dass er auf bestimmte Finanzanlageinstrumente verzichten muss, wenn diese von der Depotbank offensichtlich falsch risikoklassifiziert sind. Maßgeblich ist letztendlich die - juristisch derzeit vollkommen offene und daher künftig von den Gerichten im Einzelfall zu klärende - Frage, ob ein Finanzanlageinstrument tatsächlich der vom Kunden signalisierten Risikotragfähigkeit entspricht (oder ob zumindest zum Zeitpunkt der Kaufempfehlung davon ausgegangen werden konnte, dass dem so ist).Anhand der obigen Grafik dürfte klar sein, dass es eine Mehrzahl von Anlegern gibt, die mit dem Risiko des "Carmignac Patrimoine" bestens klarkommen, während sie mitnichten signalisiert haben, dass sie einen Drawdown von nahezu 58% akzeptieren würden, denn die Risikoklasse 3 in ihrer verbalen Beschreibung ("Meine/unsere Kurs- und Ertragserwartungen sind über Kapitalmarktniveau. Mir/uns ist bewusst, dass dieses Ziel nur mit erhöhtem Risiko erreicht werden kann.") deckt eben ein solches Risiko nicht ab, wenn im Gegensatz dazu bei der Beschreibung der Risikoklasse 4 von "großen Risiken" ("Für die Chance auf eine sehr gute Wertentwicklung und auf hohe Erträge nehme/n ich/wir auch große Risiken in Form von Währungs- und Kursschwankungen in Kauf.") die Rede ist. Wir empfehlen deshalb, grundsätzlich auch zu dokumentieren, welche tatsächliche Risikobereitschaft (gemessen an der temporären Drawdownakzeptanz) der Anleger einbringt und ob diese Risikobereitschaft auf das Gesamtdepot oder auf jedes einzelne Finanzanlageinstrument zu beziehen ist - Letzteres ist von der Überwachung her nahezu unmöglich und deshalb nur über Trailing Stopp-Orders zu regeln. Außerdem sollte klar dokumentiert werden, dass anhand aller zu Verfügung stehenden Indizien ein den Anlegervorstellungen entsprechendes Depot angestrebt wird, dass aber damit keineswegs eine Garantie verbunden sein kann, die angestrebten Ziele auch zu erreichen, da aus Vergangenheitsentwicklungen nun mal keine zuverlässigen Rückschlüsse auf zukünftige Entwicklungen möglich sind.
Wir wagen gar nicht, uns vorzustellen, welche Folgen bei ordnungsgemäßer Dokumentation der Empfehlung eines in Risikoklasse 1 gelisteten "Activest Euro Geldmarkt Plus" (siehe nebenstehende Grafik) eintreten würden, wenn sich das Drama in Zukunft abspielen würde. Es muss klar sein - und sollte ebenfalls auch so dokumentiert werden - dass nur eine breite Streuung bis zu einem gewissen Maß Schutz bieten kann, falls es bei einzelnen Fonds zu unerwarteten und über Gebühr enttäuschenden Entwicklungen kommt.Klar muss auch sein, dass bei gerichtlichen Auseinandersetzungen stets gegen den Finanzdienstleister verwendet werden wird, was irgendwie greifbar ist. Wenn man sich also einerseits kaum darauf berufen kann, dass der Aktienfonds wegen seiner Risikoklassifizierung ("erhöhtes Risiko") bei der Depotbank nicht tatsächlich bereits zum Zeitpunkt der Kaufempfehlung ein "hohes Risiko" (= Risikoklasse 4) signalisierte, so wird umgekehrt bei einem Fonds, der bislang kein hohes Risiko signalisierte, gegen den Berater verwendet werden, dass der Fonds zumindest bei einer Plattform in einer höheren Risikoklasse gelistet war, wenn dann doch etwas passiert, was den Anleger anwaltliche Unterstützung in Anspruch nehmen lassen wird (siehe obiges Beispiel eines Fonds, der in drei verschiedenen Risikoklassen gelistet ist). Grundsätzlich muss nämlich immer davon ausgegangen werden, dass der Anleger der Schützenswerte ist, der dem ihm fachlich überlegenen Berater mehr oder weniger hilflos ausgeliefert ist.
Eine Lösung bietet sich - natürlich nur und ausschließlich im Einvernehmen mit dem Anleger - an, indem der bspw. in Risikoklasse 3 profilierte Anleger sich selbst in Risikoklasse 4 hochstuft. Im Protokoll der Beratung kann dann festgelegt werden, dass der Anleger aber ausdrücklich wünscht, dass zum Beispiel mindestens 80% der ihm empfohlenen Fonds maximal der Risikoklasse 3 ("erhöhtes Risiko") entsprechen dürfen.
Ganz extrem wird es, wenn der ansonsten durchaus einem hohen Risiko abgeneigte Anleger einen Teil seines Geldes in einer geschlossenen Beteiligung investieren will und sich dabei durchaus des unternehmerischen Risikos bis hin zum Totalverlust bewusst ist und dieses insoweit auch akzeptieren würde. Da er - zumindest nach den Vorstellungen des Gesetzgebers - keine multiple Persönlichkeit sein kann, müsste er also insgesamt bereit sein, das Totalverlustrisiko zu akzeptieren (also in Risikoklasse 5 profiliert sein). Kommt das interne Scoring der Kundenprofilierung nun zum Ergebnis, dass der Kunde nur eine Risikobereitschaft der Risikoklasse 4 mitbringt, so ist eine vom Kunden gewünschte Höherstufung nur möglich, wenn gleichzeitig - zumindest dem der Höhe des Anlagebetrages der geschlossenen Beteiligung entsprechenden Betrages - ein Anlagehorizont von mindestens 10 Jahren sowie die Akzeptanz des Totalverlustrisikos ("Ich/wir verfolge/n spekulative Ziele und nehme/n dafür auch sehr große Risiken - bis hin zum Totalverlust des eingesetzten Kapitals - in Kauf. Mich/uns reizt das Risiko.") angekreuzt sind. Letztendlich kann man auch in diesem Fall dann wieder im Beratungsprotokoll festlegen, welcher Anteil der gesamten Anlage dann aber doch in Fonds mit geringerer Risikoklasse investiert werden sollen.
Vorläufiges Fazit: Trotz der vielen Einzelgespräche und der intensiven Betreuung der von Zweifeln geplagten Kooperationspartner wird es noch einige Zeit dauern, ehe die Dokumentation als das akzeptiert wird, was sie tatsächlich ist. Es handelt sich nämlich viel mehr um einen Prozess der Berater-Enthaftung als um ein Instrument des Anlegerschutzes. Allerdings wird es - erfreulicherweise - mit der Kundenprofilierung künftig wohl auch schwieriger, dem Anleger risikoreiche Fonds ohne entsprechende Risikoaufklärung unterzujubeln.